Das Dach – eine Erregung

Das Dach – eine Erregung

Immer wieder erleben wir in ländlichen Gemeinden beim Baubewilligungsverfahren heiße Debatten um das Dach eines Einfamilienhauses, genauer um die Dachform und das Deckungsmaterial des eingereichten Projekts.
Hier ist zu unterscheiden, ob die Gemeinde einen Bebauungsplan verordnet hat oder nicht. In Niederösterreich liegen etwa nur in jeder zweiten Gemeinde Bebauungspläne auf. Diese regeln die Bebauung im Bauland und können Angaben über Bauhöhe, Bauweise, Dichte der Bebauung, Anbauverpflichtungen,  Baufluchtlinien etc. enthalten.

Wenn also ein Bebauungsplan vorhanden ist, und dort die Dachform exakt geregelt ist, d.h. auch in der dazugehörigen Verordnung definiert ist, so ist dem exakt zu entsprechen, auch wenn es gestalterisch fragwürdig erscheint oder eine zeitgemäße Architekturlösung  umbringt, leider. Ist ein Walmdach vorgeschrieben, so ist dieses umzusetzen. Solche  strengen, fragwürdigen Vorschriften gibt es aber nur noch selten, Gott sei Dank!

Liegt kein Bebauungsplan auf, befinden wir uns also im „ungeregelten“ Bauland, ist die Sache erheblich einfacher, denn in diesem Fall hat die Behörde das Bauvorhaben nur nach § 54 und § 56 der NÖ Bauordnung zu beurteilen.
Im § 56 wird die Harmonie des Ortsbildes angesprochen und es heißt wörtlich  ….“unabhängig von Baudetails, Stilelementen und Materialien…..“. Demzufolge sind Dachform und Deckungsmaterial nicht exakt vorgeschrieben und es ist die Baubewilligung zu erteilen, sofern alle anderen anzuwendenden Paragraphen erfüllt sind, auch wenn die Dachform oder das Deckungsmaterial nicht dem persönlichen Geschmack des Behördenvertreters entspricht

Hier lässt der Gesetzgeber einen großen Gestaltungsspielraum offen, der sowohl gute als auch sehr schlechte Beispiele ermöglicht. Aus diesem Grund wird hier oft der Schrei nach einer strengeren Regelung laut.

Die Dachform wird aber auch von der Bauweise der Umgebung bestimmt, auch wenn es keine exakten Vorschriften gibt. Stehen in einer Siedlung ausschließlich Einfamilienhäuser, welche der Bauklasse I entsprechen, so ist ein neues Projekt in seiner Bauhöhe derart zu gestalten, dass es von seiner Umgebung nicht erheblich abweicht, das heißt; es wird eingeschossig mit steilem Dach sein müssen, sofern die Nutzfläche einen Dachausbau fordert; weil die Grundstücksgröße für einen reinen Erdgeschosstypus zu klein ist. Anzumerken ist, dass auch ein Tonnendach oder eine zusammengesetzte Dachform möglich wären.

Das Dachdeckungsmaterial ist im nicht geregelten Bauland nicht exakt vorgeschrieben.
Hier finden wir die wunderlichsten Baustoffsammlungen vor, die Baustoffindustrie tut das ihre dazu. Buntglasierte Dachziegeln in all nur erdenklichen Ausformungen, Betonsteine in allen Farben, Metallschindeln in vielfältigsten Oberflächen, all das finden wir vor, wenn wir die neuen Siedlungen an den Ortsrändern besuchen, hier empfehle ich einmal die Kreationen der Baurechtsgründe in Ratzersdorf bei St.Pölten zu besichtigen.
Wir sollten bei der Wahl der Dachdeckung auch die technische Seite beachten. Hier gilt: je steiler die Dachfläche geneigt ist, desto schuppiger darf die Deckung sein. Lassen Sie sich vom Dachdecker beraten!
Dass die Liebe zum Steildach auch formale Unsinnigkeiten mit sich bringen kann, zeigt sich dort, wo Nebengebäude (meist Garagen) mit einem Satteldach mit Dachüberstand versehen werden, so dass die Traufe an die Grundgrenze zum Nachbarn zu liegen kommt. Auf der auf Eigengrund liegenden Traufseite gibt es also einen Dachüberstand mit Hängerinne. Auf der Seite des Nachbarn aber darf das Dachwasser nicht auf dessen Grundstück entwässert werden, außerdem darf der Dachüberstand nicht über die Grundgrenze ragen. Die Folge: eine Saumrinne wird platziert, der Dachüberstand gekappt und schon steht die Karikatur eines Satteldaches da und zeigt allen, welcher „ Murx“ hier passiert ist.
Daher neige ich zu folgendem grammatikalisch verkrüppelten Rat: Steildach ist gut, wenn Steildach gut ist!

Die Dachform allein ist kein Qualitätskriterium, es kommt auf die Gesamtkomposition des Gebäudes an. Flachdach oder Steildach ist nicht so sehr die Frage, vielmehr kommt es darauf an, wie die Bauaufgabe insgesamt gelöst wurde.

 

Der Schaukasten März 2005
Regionale Informationsbroschüre für das untere Traisental