Das Ortsbild, ein Abbild der Gesellschaft

Das Ortsbild, ein Abbild der Gesellschaft

Ein Abbild ist die Wiedergabe von Wahrgenommenem, ein Spiegelbild, ein Duplikat von Gesehenem, auch im übertragenen Sinn. So wie Architektur im Allgemeinem so ist das Ortsbild im Besondern ein Abbild unserer Gesellschaft, ein Produkt aus kulturellen, wirtschaftlichen, bildungsmäßigen und sozialen Gegebenheiten bezogen auf die historischen und topgraphischen Vorgaben und Muster. Ortsbild ist nicht nur die Summe aller Bauten, nicht nur der öffentliche Raum (und leider heute auch der öffentliche Zwischenraum, speziell in den landfressenden Einfamilienhaussiedlungen) sondern auch die Summe aller bewusst und unbewusst geschaffenen formrelevanten  „Zutaten“  wie z.B.  Beschilderungswald am Ortseingang, Strassenmöblierung aller Art, Verkehrsschilderchaos und Nadelgehölzbepflanzung in innerstädtischen Arealen, kurzum Ortsbild ist alles, was wir wahrnehmen (müssen), wenn wir im so genannten verbauten Gebiet vor die Tür gehen.

Ortsbild hat nichts mit pseudoromantischen Fremdenverkehrsidyllen, nichts mit musealen Dorfplatzrekonstrukten, nichts mit Eklektizismen aller Art zu tun, Ortsbild ist beinharte Realität, ein Abbild dessen, was sich so ansammelt, an Umsetzung von in Gemeindestuben beschlossenen Bebauungsplänen und Verordnungen, an dreidimensional gewordenen Baubewilligungen, an Baukultur und Bauunkultur, an Verständnis oder Unverständnis für Architektur und Raum, an Beiträgen zum Bauen von allen Beteiligten.
Ortsbild ist, wie schon der Name sagt, ein Abbild vom Ort und von den vielen guten oder schlechten oder lauwarmen Lösungen des Reagierens auf diesen Ort.

Trotz Ortsbildparagraphen in der Bauordnung, in der gescheite Juristen ihr Bestes geben wollten, ist ein „schönes“ Ortsbild nicht verordnebar. Es ist das Produkt aus den oben erwähnten Zutaten, die wiederum vom jeweiligen Entscheidungsträger und dessen geistiger Kondition abhängen, eine zutiefst menschliche Komponente.
Ich stelle hier die provokante Behauptung auf, dass die wenigsten Gemeinderäte sich bewusst sind, was sie, wenn Sie einen Bebauungsplan und die dazugehörige Verordnung beschließen, mit allen Konsequenzen für den bauwilligen Bürger, der vielleicht ein Grundstück erwirbt, in der Bauklasse 1, mit offener Bauweise und 30 Prozent Verbauungsdichte. Was heißt das eigentlich, was darf ich denn da? Wie wird die Gebäudehöhe gemessen, wie steht es mit der Belichtung? Bin ich nun zum Dachbodenausbau verurteilt oder nicht. Will ich so etwas überhaupt, sollte ich besser gleich wegziehen?
Ortsbild ist ein Resultat, ein Istzustand der Gesellschaft im Umgang mit Bestand und Neuem, mit dem Gestern und Heute einer  Baukultur oder mit einer gewachsenen Struktur einer Siedlung. Es gibt einen sehr simplen Spruch zur Baukultur: “Heute ist heute und gestern war gestern“.  Das heißt, dass der Umgang mit historischer Bausubstanz behutsam und professionell (nach den Regeln der Denkmalpflege) zu geschehen hat, und das Neue neu sein soll, also eine heutige Formensprache – über die man streiten können soll – sprechen sollte. Ein zweiter Schwerpunkt ist die Bewältigung von Problemstellungen im „öffentlichen“ Raum. Plätze, Strassenräume und dgl. dürfen nicht „ausrinnen“.
Ortsränder sind potenzielle Sorgenkinder, sie fressen sich wie böse Geschwüre in die Landschaft, die Frage „Wo beginnt ….dorf“ kann nicht mehr klar beantwortet werden. Es gibt keine Raumdefinitionen, keine Grenzen, es gibt nur mehr „Gegenden“.
Ortsbild – Abbild unserer Gesellschaft. So heterogen wie unsere Gesellschaft ist auch das Bauen. Alles ist möglich, alles denkbar, alles machbar, die Architekturrichtungen und –moden überschlagen sich, das Schlagwort von Ökonomie im Einklang mit Ökologie kling gut, ist aber oft ein „zahnloser Tiger“, denn meist wird das hingestellt, was den größten Profit bringt.
So hat am Schluss jede Gemeinde das Ortsbild, das sie verdient, – das Abbild seiner Gesellschaft.

 

Der Schaukasten Jänner 2004
Regionale Informationsbroschüre für das untere Traisental