Es ist alles so kompliziert ...

… sagte der alte Sinowatz, wurde belächelt und ging mit diesen Worten in die Geschichte ein.

 

In manchen Nachrufen konnte man aber lesen, dass er recht gehabt hatte, der  ehemalige Herr Bundeskanzler.

Sie werden fragen, was denn der Doktor Sinowatz mit dem Baugeschehen, das ich in dieser Rubrik kommentieren soll, zu suchen hat.

Es ist sein Zitat, das auch aufs heutige Bauen (wahrscheinliche nicht nur darauf) umgemünzt werden kann.

Konnte im fünfzehnten Jahrhundert die auch damals sehr komplizierte Bauaufgabe der Domkuppel von Florenz von einem einzigen (Genie) gelöst werden, sind auch schon bei viel kleineren Bauführungen heutzutage viele Spezialisten notwendig, um zu einem zufrieden stellenden Ergebnis zu kommen, nicht zu reden von den “Highlights“ unseres Zeitalters, wie Wolkenkratzer, gigantische Brückenbauwerke  und derlei mehr..

Die Anforderungen an unsere Gebäude haben sich gewandelt. Viele Bauten sind Maschinen geworden, oder sollen in Zukunft (Solar)-Kraftwerke werden,  voll gestopft mit Technik , wie bei einem Düsenflugzeug, -und auch so anfällig gegenüber Defekten. Man stelle sich nur einen simplen Stromausfall vor.

Filippo Bruneleschi, der Architekt der Florentiner Domkuppel, hatte das technische Wissen seiner Zeit parat, hatte es auch nicht leicht im Intrigendschungel der Stadtverwaltung. Aber er hatte den großen Vorteil gegenüber einem heutigen Architekten: Er beherrschte die gesamte Bautechnik seiner Zeit in seiner Person, ja er beherrschte auch die komplexe Logistik der Bauabwicklung von der Materialbeschaffung bis zur Montage der Bauteile - und er entwickelte spezielle Baumaschinen und Hebezeuge, um seinen großgeistigen Wurf zu realisieren. Ja er organisierte sogar die Verpflegung der Arbeiter, indem er in der Kuppel Küchen einrichten ließ, damit der Auf- und Abstieg der Bauleute zum Mittagessen gar nicht nötig war und daher eine enorme Zeiteinsparung möglich war. So ist es zumindest aus der Literatur überliefert.

 

Heute erfordert schon ein mittelgroßes Bauvorhaben eine ganz Schar von Spezialisten, um dieses zu realisieren .Bodenmechaniker, Statiker, Bauphysiker, Haustechnikplaner, Akustiker, Lichttechniker, Küchenplaner, Medizinplaner, Technische Ausrüster verschiedenster Sparten und viele andere sind notwendig, um ein Bauwerk herzustellen.

 

Und was macht der Architekt, werden Sie fragen. In erster Linie zeichnet er für den Entwurf verantwortlich, das ist seine ureigenste Profession. Und ist der Leithammel, der Dirigent, der Regisseur, der seinen Entwurf einer möglichst komplikationsarmen Geburt entgegen bringen muss, ( wenn man ihn lässt )

Es ist leicht einzusehen, dass er gegen viele Interessen ankämpfen muss, denn jeder dieser vielen Mitwirkenden, von den ausführenden Firmen ganz zu schweigen (das ist ein eigenes Kapitel) fährt auf seiner schmalen Fachschiene daher und verliert oft den Überblick. Das ist die schwierige Aufgabe des Architekten, alle unter einen Hut zu bringen, alle zu motivieren, zu instruieren, zu koordinieren, und zu kontrollieren. Denn Papier ist geduldig und die Gefahr der Verwässerung eines Entwurfes immer gegeben, ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Interessen des Auftraggebers, der sich oft in einer pyramidal hierarchisch organisierten schlecht zu fassenden „schwappeligen Masse“ von mehr oder weniger kompetenten und oft kulturuninteressierten Entscheidungsträgern dem Architekten darstellt. Die Architektur ist ihm oft „wurscht“, Hauptsache das Bauwerk ist billig und vor der nächsten Wahl fertig. Dazu kommen noch die schrecklichen „Blähungen aus Brüssel“, die bürokratischen und legistischen Hürden, die allen das Leben erschweren.

Ich bin schon sehr vorsichtig geworden in der Beurteilung von Bauwerken, denn nicht jeder Architekt hat eine robuste Natur, ja oft auch nicht die nötige dicke Haut oder Brutalität um sich gegen eine Vielzahl von Hineinspuckern zu behaupten.

Heute haben nämlich viele Manager in unnötigen Seminaren gelernt, dass alles demokratisch ablaufen muss. So kommt es nicht selten vor, dass die Vorhänge in einem Krankenhaus auch der Putzfrau gefallen müssen und die Farbe der Türen dem Geschmack des häuslbauenden Pflegers genehm sein soll. Wenn das Gebäude fertig gestellt ist, kann man ja nicht draufschreiben, ja, es ist „schirch“, der Architekt wollte es anders, aber der Bauherr hat mich nicht lassen“.

 

Auch darum „ist alles so kompliziert!“

Schaukasten September 2010