Wohnen, was ist das?

Wir alle wohnen. Aber was ist das für eine Tätigkeit, das Wohnen? Was macht man dabei? Jeder glaubt es zu wissen, die wenigsten von uns sind aber in der Lage, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben.

Auch ich wage mich an den Versuch folgender Definition: Man könnte vielleicht etwas salopp sagen, dass Wohnen die individuelle Zeitverbringung in klimaoptimierter Umgebung zur Deckung persönlicher Bedürfnisse sei.

Individuelle und persönliche Bedürfnisse prägen daher das Aussehen unserer Wohnung, unabhängig davon, ob diese in einem eigenen Haus oder in einer Wohnung befriedigt werden. In den Medien wird über „Betreutes“, „Junges“, „ Leistbares“ oder „Generationen-Wohnen“ berichtet und mit diesen Schlagwörtern wird auch zum Kauf angeregt. Wohnen befriedigt Bedürfnisse, und das seit Jahrtausenden auf dem gesamten Erdball.

Die Wohnung ist ein Ort ,an dem  die Freiheit der Selbstdarstellung bis zu einem gewissen Grad  noch möglich ist, wo der Bewohner noch keine anonyme  Nummer ist, wo er selbst bestimmen kann, wie er wohnen möchte ,wobei zwischen Wunscherfüllung und Realität meist ein breiter vermögensrelevanter Graben liegt. Denken wir nur an den latenten Wunsch von Wohnungsmietern nach einem Häuschen im Grünen .Aber immerhin, die vielbeschworene persönliche Note kann doch ziemlich gut ausgelebt werden .Noch ist die Bauordnung in Bezug auf Innenraugestaltung relativ zahm.

Wohnen kann daher vieles bedeuten und vieles über die Bewohner aussagen. Ich habe als langjährig tätiger Bauberater im Auftrag der Niederösterreichischen Landesregierung mehr als tausend Wohnungsbesuche hinter mir, ich weiß, wie NÖ wohnt.

Ohne den Bewohner näher zu kennen, weiß ich schon ein paar Sekunden nach der Begrüßung relativ viel über ihn: z.B., ob er Jäger, Sportler, Kunstsammler ist, ob er schlampig ist, oder ein Pedant, ein Weitgereister, ein Musikliebhaber, ob er liest, ob er kocht, ob er ein praktizierender Großeltern-Teil ist, ob er, was den Geschmack betrifft, konservativ oder progressiv ist, ob er Gehprobleme hat, Haustiere liebt und vieles, vieles mehr.

Die Wohnung ist also die Bühne, auf der ein Großteil des Privatlebens abgespult wird. Wohnen ist daher mehr als vor dem Fernseher  sitzen und die Mahlzeiten einnehmen .Wohnen kann auch Malen, Musizieren oder Reptilienzüchten heißen ,im Freundes- oder Familienkreis tätig oder träge sein, genauso wie Kranksein und Einsamsein. Diese Palette kann beliebig erweitert werden. Wohnen ist das Ausleben der Geschmacks- Individualität (vom Messie bis zum Formal-Asketen habe ich alles schon gesehen) außerhalb der Öffentlichkeit, außer man ist für Medien interessant, wie im Fall all der Prominenz, die sich in ihren vier Wänden ablichten lässt. Selber schuld!

 

Schaukasten Juni 2015